Artikel von Markus Twellenkamp, erschienen im kulturjournal 5/2009
Allzuviele Industriedenkmale finden sich nicht in der Kulturstadt Weimar. Die Werkstatt mit genietetem Metallfachwerk von 1908, das Uhrenhaus und der Wasserturm des ehemaligen Gaswerks sollen jetzt auf die Denkmalliste kommen. Die etwas außerhalb der Touristenlaufstege gelegene Schatzkiste in der Schwanseestraße 92 kann davon nur profitieren. Entdeckt hat die damalige Industriebrache im Jahr 1996 HP Großmann, damals noch Student, der eine Halle als Atelier für seine Metallwerkstatt suchte. Er konnte relativ schnell einen Vertrag mit der Stadt machen und aus dem Dunstkreis der vielen freien studentischen Projektgruppen, in seinem Fall der Parzelle X, als erstes studentisches Projekt der Bauhaus-Universität Weimar die Gaswerk Design und Projektwerkstatt gründen.
Großmann stammt aus Ulm, lebt und arbeitet seit 1996 in seinem Atelier und hat als Standbeine Festanstellung als Diplom-Designer am Deutschen Nationaltheater. Die Grenzen zwischen den künstlerischen Disziplinen hebt er mit seinen Projekten spielerisch auf. Er lässt Architektur, Musik, Video, neue Medien, Tanz und Literatur zu einem omnimedialen Ganzen verschmelzen. Es überrascht kaum, wenn sich auf dem inspirierenden Gelände nach und nach die vielbeschworene Kreativwirtschschaft angesiedelt hat: Videostudio, Musikstudio, mehrere Computer-Ateliers und ein Fotolabor. Heute biete die quirlig brodelnde Kombination aus Werkstätten, Ausstellungshallen, Freigelände und Büroräumen viel Raum für Veranstaltungen, Ausstellungen und Workshops aus allen Sparten zeitgenössischer Kunst- und Kulturproduktion. Das Gaswerk zelebriert mit ungebremster Energie eine Mischung aus omnidisziplinärer Arbeit und rauschenden Festen, für die es bei den Weimarer Studenten seit langem berühmt ist. Aber auch die High Society lässt sich ab und zu auf dem Szenegelände blicken, etwa wenn der Schweizer Spitzenkoch Victor Imfeld zu einem exklusiven delikatESSEN einlädt. So geschehen beim diesjährigen Omarillo-Festival.
Omarillio
Omarillio ist ein Mix aus genreübergreifendem Kulturtreiben, erstmals vor zwei Jahren kredenzt von einem engagierten Alumni-Team der Bauhaus-Universität Weimar. Musikern, Artisten und Kunstschaffenden wird eine offene Bühne geboten, um jenseits von abgeschotteten Arbeits- und Proberäumen miteinander zu arbeiten und sich anschließend dem Publikum zu präsentieren, mit Workshops, Rauminstallationen, Ausstellungen, Theater, Lesungen, Film, Koch-Inszenierungen, Live-Musik und Party Open-Stage. In diesem Sommer stand Omarillio als dreiwöchiger Festakt mit dem Grundgedanken der »Transformation« zum ersten Mal unter einem einheitlichen Motto. Alle Kunstformen schmolzen in dem melting pot zu einem faszinierenden Ganzen zusammen. Für dieses Festival hat die Design- und Projektwerkstatt Gaswerk im August den mit 1.111,- Euro dotierten Preis „KulturRiese“ der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Soziokultur bekommen. Prämiert wurde damit die herausragende Arbeit des Festivals und dessen Charakter als Modellprojekt, wie interdisziplinäre Kulturarbeit – oder wie das Omarillio-Tema sagt „ multikultional“ – aussehen sollte. Vorher wurde Omarillio schon zusammen mit der Dresdner Semperoper für den Endausscheid des KulturSPIEGEL in der Kategorie „Trendmarke 2008“ nominiert. Den Vergleich braucht man kaum zu scheuen – und er zeigt die rasante Entwicklung des Omarillio-Festivals.
Bauhaus-Partner
Im Bauhaus Jahr: war das Gaswerk Partner bei der Eröffnungsveranstaltung im April, hat die Bauhaus-Performances unterstützt, die Bühne auf dem Theaterplatz installiert, die Diaprojektionen auf die Fassadenwände geworfen und das rasende Bauhaus erfunden. Kurzum: die als vorwärtsgerichteter Underground gestartete Design und Projektwerkstatt Gaswerk ist in der Kulturstadt angekommen und aus selbiger nicht mehr wegzudenken. Am 14. November stellt sie bei einer Musikveranstaltung das Programm für das nächste Jahr vor. Wir können uns wieder auf ein kleines Festival mit Musik, Videos und Performances freuen. Als Prototyp für eine Kooperation mit der Stadt Weimar wird auf dem Gaswerk-Gelände ein Glaspavillon aus alten Fensterscheiben aufgebaut. Ähnliche Glaspavillons sollen dann mit Videos und Zeichnungen ausgestattet über die ganze Stadt verteilt werden. HP Großmann kann entspannt aus seinem mit eigener Metallkunst möblierten Büro auf das „Werksgelände“ schauen. Seine studentische Initiative hat ins Schwarze getroffen.
Markus Twellenkamp